Babel by R. F. Kuang

Babel by R. F. Kuang

Autor:R. F. Kuang [Kuang, R. F.]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fantasy/Sci-Fi
Herausgeber: Eichborn
veröffentlicht: 2023-04-27T22:00:00+00:00


KAPITEL SIEBZEHN

Quae caret ora cruore nostro?

Welche Küste hat noch nicht unser Blut getrunken?

HORAZ , Oden

V or einem Jahr, nachdem er Colin und die Brüder Sharp im Gemeinschaftsraum laut darüber hatte sprechen hören, war Robin allein übers Wochenende nach London gefahren, um die gefeierte Afong Moy zu sehen. Angekündigt als die »Dame aus China«, war Afong Moy von zwei US -amerikanischen Kaufmännern aus China mitgebracht worden, weil sie ursprünglich ihre in Übersee erworbenen Güter an einer Orientalin präsentieren wollten. Schnell stellten sie jedoch fest, dass sie stattdessen ein Vermögen machten, indem sie ihre ganze Person entlang der Atlantikküste zur Schau stellten. Dies war ihre erste Tour durch England.

Irgendwo hatte Robin gelesen, dass sie ebenfalls aus Kanton stammte. Er wusste nicht genau, was er sich erhofft hatte, abgesehen von einem kurzen Blick auf eine Heimatgenossin, eventuell sogar einen Moment der Begegnung. Sein Billett verschaffte ihm Zugang zu einem knallbunten Bühnenraum, angepriesen als »chinesischer Salon«, wahllos dekoriert mit Keramikfiguren, schäbigen Nachahmungen chinesischer Gemälde und endlosem Damast in Rot und Gold, das Ganze erleuchtet von billigen Papierlampions. Die Dame aus China selbst saß auf einem Stuhl vorn im Raum. Sie trug eine blaue Seidenbluse mit Knöpfen, und ihre Füße, seltsamerweise in Leinen gewickelt, ruhten auf einem kleinen Kissen vor ihr. Sie sah sehr zierlich aus. Das Faltblatt, das Robin am Kassenschalter ausgehändigt worden war, behauptete, sie sei Anfang zwanzig, doch sie hätte genauso gut erst zwölf sein mögen.

Der Raum war voller Lärm und Leute, hauptsächlich Männer. Sie verstummten schlagartig, als die Dame aus China sich langsam vorbeugte und das Leinen löste.

Die Geschichte ihrer Füße wurde ebenfalls im Faltblatt erläutert. Wie bei vielen Chinesinnen waren Afong Moy schon als Kind die Füße gebrochen und abgebunden worden, um deren Wachstum zu hemmen und sie in einen unnatürlichen Bogen zu zwingen, der ihr einen wackeligen, unsicheren Gang verlieh. Als sie sich über die Bühne bewegte, schoben sich die Männer um Robin herum nach vorn, um besser sehen zu können. Doch Robin verstand das Drängeln nicht. Der Anblick von Afong Moys Füßen wirkte auf ihn weder erotisch noch faszinierend, sondern wie ein massiver Eingriff in ihre Privatsphäre. Als er dort stand und sie betrachtete, war er peinlich berührt, als hätte sie sich gerade gegen ihren Willen vor ihnen entblößt.

Afong Moy kehrte zu ihrem Stuhl zurück. Plötzlich sah sie Robin direkt in die Augen. Sie hatte wohl den Blick schweifen lassen und nun ein Gesicht mit vertrauten Zügen entdeckt. Mit heißen Wangen wandte er den Blick ab. Als sie anfing zu singen – ein eindringliches Trällern, das er weder wiedererkannte noch verstand –, zwängte er sich durch die Menge hinaus und ging.

Abgesehen von Griffin hatte er seitdem niemanden mit chinesischer Herkunft mehr gesehen.

Während sie ins Landesinnere segelten, fiel ihm auf, dass Letty ihm immer wieder ins Gesicht blickte, dann zu den Hafenarbeitern, als stelle sie einen Vergleich an. Vielleicht versuchte sie herauszufinden, wie chinesisch er nun genau aussah, oder ob er gerade irgendeine emotionale Erschütterung durchmachte. Doch in seiner Brust rührte sich nichts. Robin stand an Deck, würde nach



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.